Der Braunschweigische Bahnhof:
16 Jahre lang das Tor zur Welt

Architektonisches Schmuckstück ist durch private Hand zu neuem Glanz erstanden

Holzminden (pd). Er ist ein repräsentativer Bau, der Braunschweigische Bahnhof am Ende der Bahnhofstraße an der Grenze zur Steinstraße. Ein wenig zu monumental für eine Kleinstadt, fast schon wie eine Burg oder ein mittelalterliches Schloss, mit Erkern, Zinnen und Ornamenten an den Seiten, dazu Einlassungen, die die Unterbringung eines in Stein oder Metall gearbeiteten braunschweigischen Löwen vermuten lassen. Nahezu unglaublich, dass dieser Bau nur 16 Jahre lang, von 1865 bis 1881, das Tor Holzmindens zur Welt repräsentiert hat.


Auf den ersten Blick ist gar nicht erkennen, wo denn da überhaupt der Eingang für die Reisenden gewesen sein mag in dem 1865 in Betrieb genommenen älteren Braunschweigischen Bahnhof. Zwar ist das Gebäude für entsprechende repräsentative Bauwerke seiner Zeit symmetrisch konstruiert, mit zwei Seitenschiffen und einer vorgesetzten größeren Erkerkonstruktion in der Mitte. Allerdings vermittelt gerade die komplett mit Fenstern versehene Front des Mittelbaus und das insgesamt durchlaufende Gesims eher weniger, dass hier einmal ein großes Portal für den Zugang zu irgendwelchen Fernreisen nach Braunschweig oder ins Ruhrgebiet eingeladen haben könnte.

Hat es auch nicht, bestätigt der jetzige Eigentümer des Bahnhofs, Dr. Wilfried Steinmetz. Mit großem Aufwand hat er die unter Denkmalschutz stehende Fassade vor 15 Jahren restaurieren lassen, eine Maßnahme die drei Jahre lang gedauert und genauso viel gekostet hat, wie der Bau selbst. Eine größere architektonische Änderung ist nach seinen Unterlagen in all den Jahren vorher an dem Äußeren nie vorgenommen worden. Wo ging es also ´rein, wo wieder ´raus? Die Lösung des Rätsels verrät ein zweiter Blick auf die Fensterfront sowie die genauere Aktenlage des Eigentümers.

Der Braunschweigische Bahnhof hatte ganz einfach zwei Eingänge, rechts einen für die Erste Klasse, links den für die zweite und dritte Klasse. Die beiden äußeren Fenster des zentralen Baus sind höher und deutlich breiter gestaltet, durch eine zusätzliche Erkerkonstruktion darüber hinaus jeweils auch noch einmal hervorgehoben; das waren jeweils die Zugänge vom Bahnhofsvorplatz aus. „Dazwischen gab es eine Bahnhofsrestauration und einen Wartesaal“, weiß Steinmetz, während sich in den heutigen Räumen des Jazz-Clubs bahnseitig ein Schalter, eine Poststelle und die Residenz des Bahnhofsvorstehers befunden habe. Die Gebäudeseite zur Steinstraße wiederum beherbergte weitere Büros und den Schalter für die zweite und dritte Klasse. Die Keller unterhalb des Mitteltraktes sind in den Plänen noch als Knechtskammern bezeichnet. Ein Hinweis darauf, dass dort Bedienstete schliefen, die tagsüber die Kohlen für die Züge heranschleppten.

Mit dem Rückfall in die Bedeutungslosigkeit durch die Inbetriebnahme des preußischen Bahnhofs 1881, wurden dann die Eingänge zurückgebaut und die Räumlichkeiten in Büros und Beamtenwohnungen umfunktioniert. Nach dem Krieg sollte die zunehmende Notwendigkeit von technischer und elektrischer Unterstützung bald dazu führen, dass in den Räumen des Bahnhofs verschiedene Steuerungsräume untergebracht werden mussten.

Und das bis heute. Steinmetz konnte das Gebäude vor 23 Jahren nur unter der Auflage erwerben, dass der Deutschen Bahn in drei Räumen auf 70 Quadratmetern Fläche verschiedene Apparaturen zur Prozess-Ablaufunterstützung erhalten bleiben. Ein Schaltraum, ein Batterieraum und einer mit „vielen, vielen Drähten“, wie der pensionierte Gynäkologe, der den Bahnhof zur Unterbringung seiner Praxisräume gekauft hat, resigniert feststellt. Denn die für die Bahn erforderliche Technik ließe sich vermutlich heute auf einem Areal von fünf Quadratmetern unterbringen. Aber alle Versuche, jemanden Kompetentes und gleichzeitig auch dafür Zuständigen bei der Bahn für die Anlagen zu interessieren, sind bisher gescheitert.

Dem Äußeren des alten Bahnhofs schadet das nicht. Er ist sicherlich einer der Schmuckbauten der Stadt, der mit der Beherbergung des Jazz-Clubs auch noch zu einer kulturellen Institution avanciert ist. Ein Aushängeschild Holzmindens, das vermutlich von den Bewohnern der Stadt selbst am allerwenigsten als solches wahrgenommen wird.



Stadt der zwei Bahnhöfe:
Warum Holzminden zwei Empfangsgebäude besitzt

Durch den Eisenbahn-Boom gewann die Stadt kurzzeitig an Bedeutung

Holzminden (pd). Während viele Orte es noch nicht einmal zu einem vernünftigen Bahnsteig gebracht haben, verfügt Holzminden nicht nur über ein Bahnhofsgebäude, sondern sogar über deren zwei. Etwa fünfzig Meter vorgelagert vor dem heute noch in Betrieb befindlichen preußischen Bahnhof, der 1881 fertig gestellt wurde, befindet sich ein zweites, in Farbe und Architektur völlig andersartiges Gebäude, der 16 Jahre ältere Braunschweigische Bahnhof. Wie kam eine kleine, wirtschaftlich schon damals nicht unbedingt zu den allerwichtigsten Zentren in Norddeutschland zählende Kleinstadt mit seinerzeit nicht einmal 5.000 Einwohnern zu so einem Luxus? Resultat der verqueren Kleinstaaterei vielleicht, oder doch einfach bloß ein bürokratischer Schildbürgerstreich? Ein klein wenig von beidem, vor allem aber Ausdruck eines ungeheuren Wirtschaftsbooms, der durch die Grenzlage Holzmindens und dem rasanten Ausbau des Eisenbahnverkehrsnetzes bedingt war.

Das Herzogtum Braunschweig, dass es über Jahrhunderte geschafft hatte, durch geschickte, nicht allzu rebellische Politik gegenüber dem übermächtigen Preußen seine Unabhängigkeit zu bewahren, spielte im Wettbewerb um die Anbindung der ostdeutschen Großmacht an seine wirtschaftlich eminent wichtigen Provinzen Westfalen und Rheinland aufgrund seiner Verlässlichkeit eine gewichtige Rolle. Zumal sich das eigentlich streckenmäßig günstiger gelegene Königreich Hannover im Gegensatz zu den Braunschweigern nicht ganz so linientreu gegenüber Preußen verhielt. Ende Februar des Jahres 1861 schlossen die Berliner mit den Braunschweigern dementsprechend einen Staatsvertrag ab, der den Bau einer von Kreiensen bis Altenbeken durchgehenden Ost-West-Bahn zum Ziel hatte.

Anfang 1862 wurde mit dem Bau der durchweg durch Braunschweiger Gebiet verlaufenden Strecke begonnen und bereits dreieinhalb Jahre später bis Holzminden fertig gestellt. Dem Grenzbahnhof zu Preußen sollte dabei eine besondere Bedeutung zukommen, mit dem repräsentativen Empfangsgebäude und zwei Lokschuppen deutete sich eine wesentliche wirtschaftliche Bedeutungssteigerung der Ackerbürgerstadt durch seine strategische Lage an. Weitere drei Jahre später war auch der Weg über die Grenze ins benachbarte preußische Westfalen geebnet, der Boom im infrastrukturell erschlossenen Weserbergland hätte beginnen können. Doch schon zwei Jahre zuvor, 1866, hatten die tollen Pläne der Braunschweiger bereits einen empfindlichen Dämpfer bekommen, weil sowohl Hannoveraner, als auch Kurhessen nach einem verloren gegangenen Krieg von den Preußen kurzerhand annektiert wurden und damit attraktivere, weil durch eigenes Gebiet verlaufende und weniger energieaufwändige, schnellere Strecken als die von Kreiensen nach Holzminden zur Verfügung standen.

Um den Staatshaushalt zu retten, blieb den Braunschweigern nichts anderes übrig, als die Strecke schnellstens zu privatisieren. Für die zwei Gesellschaften, die die Aktien für die Strecke erwarben, eine lukrative Angelegenheit, denn sie sahen sich damit in der Lage, eine komplette Strecke von Berlin über Holzminden und ab 1876 Scherfede bis an den Rhein anzubieten. Von dem Ausbau der Strecke profitierte auch Holzminden. Ein dritter Lokschuppen musste her und das Empfangsgebäude war nach kurzer Zeit auch schon nicht mehr groß genug. Als 1881 der neue, aus dem heimischen Buntsandstein gebaute Bahnhof fertig war, hatte die Zeit die ambitionierten Vorstellungen der Eisenbahngesellschaften ein weiteres Mal überholt, und diesmal endgültig. Ab Ende 1879 fing der preußische Staat nämlich damit an, sämtliche privaten Linien wieder zu verstaatlichen, der so wichtige Güterschwerlastverkehr wurde bald wieder verlagert und Holzminden verlor als Standort an Bedeutung.

Geblieben sind bis heute zwei stattliche, architektonisch völlig unterschiedliche Empfangsgebäude, die sogar einmal durch verschiedene kleinere Bauten und Holzbaracken miteinander verbunden gewesen sein müssen, wie alte Postkarten zeigen. Ein schlossartiger Braunschweigischer Bahnhof, der ganze 16 Jahre seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß benutzt wurde und ein preußischer Bahnhof, der schon überdimensioniert war, als er in Betrieb genommen wurde. Die kurze Zeit des wirtschaftlichen Aufbruchs hat der Stadt durchaus aber gut getan, denn die seinerzeit auch schon drohende Abwanderung der Bevölkerung konnte nicht nur aufgehalten, sondern in den Jahren nach 1865 umgekehrt werden.