Jazz-Festival 2024
Zwischen New York, Hildesheim, Louisiana und Holzminden
Als Auftakt des Festivals fanden mit Hilfe des Quartetts „Bluff“ Inspirationen aus der jungen New Yorker Jazzszene den Weg über Hamburg nach Holzminden. Seit fünf Jahren sind Christian Höhn (Trompete), Tim Scherer (Piano), Lukas Kolbe (Kontrabass) und Malte Wiest (Schlagzeug) mit ihren Eigenkompositionen unterwegs, waren auch schon bei Jazz Baltica. Alle vier jungen Musiker komponieren auch, tragen zudem solistisch zum speziellen Sound der Band bei. Kraftvolle Titel, unterbrochen von teils elegischen Trompetenmelodien, getragene Nummern, nachdenkliche Balladen, Anklänge an Choräle – die Aufmerksamkeit des Publikums war durchaus gefordert, die Spielfreude und große Virtuosität bekamen jedoch ihren verdienten Applaus. Viele der durchkomponierten Songs erzählten eine „Geschichte nach Noten“, mal klar erkennbar, mal eher rätselhaft. Im letzten Titel „Resolve“, einem raschen und mitreißenden Stück, warfen sich Piano und Trompete quasi den Ball zu, sie teilten sich einfach die Melodie.
Ganz andere Töne dann nach der Umbaupause. Unter der Überschrift „Mr. Bass & Mr. Piano meet Tommie Harris“ traten Dirk Raufeisen am Piano, die Kontrabasslegende Paul G. Ulrich, der Drummer Marcel Hochstrasser und der Sänger Tommie Harris auf die Bühne. Die erste Nummer „Jambalaya“ heizte die Stimmung gleich kräftig an. Langsam, im Stil von Oscar Peterson, kam danach „Things ain’t what they used to be”, gefolgt von “Shake, rock and roll” mit Tommie Harris als Leadsänger und dem Publikum als Chor. Überhaupt war die Zuhörerschaft in diesem Teil des Abends stark gefordert: singen, rhythmisch klatschen, Finger schnipsen. „Wonderful“ begann in langsamem Tempo, und Sänger und Pianist agierten als Gesangsduo, dann wurde das Tempo verdoppelt, einem rasanten Pianosolo folgte ein spektakuläres Solo auf dem Kontrabass – gestrichen, nicht gezupft. „St. Thomas“, in karibischem Rhythmus, brachte das große furiose Schlagzeugsolo, Marcel Hochstrasser tobte sich so richtig aus, sehr zur Freude der Zuhörer.
Tommie Harris erzählte vor dem Song „The thrill is gone“ von B.B. King eine Episode aus seinem Leben. Als 11jähriger fuhr er nämlich mit dem Fahrrad meilenweit zu einem Konzert von B.B. King, wo er dann heimlich hinter der Bühne seinem Idol zuhören konnte. Wahre Beifallsstürme bekam der Titel „Caravan“ für Solopiano in einer Sonderversion „à la Dirk“ mit Anklängen an Ragtime, furiosen Läufen und Akkorden, wahren Kaskaden in schwarz und weiß. „Qualitätstest für das Piano – alle Tasten noch dran, keine Saite gerissen“. Swing gab es auch noch „It don’t mean a thing“, dann ein extra temporeiches „Honeysuckle rose“, und zum guten Schluss ein sehr gefühlvolles „Wonderful world“. Unter Mithilfe der Band „durfte“ das Publikum die Zugabe „Oh, when the saints“ schließlich selber singen.
Am Samstag ab 19 Uhr erfreuten das Ramon Rose Trio aus Hildesheim und die Violinistin Carolin Pook die zahlreichen Gäste mit französischem Flair der 30er Jahre, auch mit Rumbaklassikern und von Rock, Latin und Blues beeinflussten Songs. „Coquette“ hieß der erste lebhafte Song, und der Funke sprang sofort zum Publikum über. Am fingerfertigen Spiel des Sologitarristen Ramon Rose hätte selbst Django Reinhardt kaum etwas auszusetzen gehabt. Der Rhythmusgitarrist Tschabo Franzen sorgte freundlich zuverlässig für den Background, auch für die beiden Ladies der Band, für Clara Däubler – mit schlanken Fingern souverän am Kontrabass - und für Carolin Pook – überaus virtuos an der Violine. Ihr gut 120 Jahre altes Instrument hat einen wunderbar weichen Klang, es konnten ihm aber auch eher scharfe und wilde Töne entlockt werden. Das breit gefächerte Programm bot vom Bossa Nova „Waves“, über „Django’s Tiger“ und dem Blues „Claire“ bis zum Swing-Klassiker „Joseph, Joseph“ und „For Sephora“ von Stochelo Rosenberg eine ganze Kette von Highlights. Tosenden Applaus erhielt der „Minor Swing“, die weltberühmte Komposition von Django Reinhardt und Stéphane Grapelli aus dem Jahr 1937. Zum Schluss spielte die Band erst einen rasanten „Limehouse Blues“ und danach nach schier endlosem Applaus als Zugabe „Honeysuckle rose“. Dirk Raufeisen, als Gast anwesend, setzte sich ans Piano und lieferte sich mit Ramon Rose einen beeindruckenden Wettstreit in Sachen Fingerfertigkeit. Beide blieben Sieger.
Im zweiten Teil des Abends ging es musikalisch nach Louisiana, in eine Kneipe, wo gefeiert und getanzt wird. Zydeco, eine schnelle tanzbare Musikform entwickelte sich vor etwa 100 Jahren aus der Cajunmusik französischer Einwanderer und afro-amerikanischen Einflüssen. Die Band „Zydeco Annie + Swamp Cats“ gibt es seit 20 Jahren, und ihre Musik ist scharf gewürzt wie Jambalaya, das Eintopfgericht mit Reis, Gemüse, Fisch oder Fleisch – auch Alligator darf es sein – und viel Chili. Hank Williams setzte dieser kulinarischen Spezialität mit dem Song „Jambalaya“ ein Denkmal. Wild ist Zydeco, treibend und furios, stampfend der Rhythmus, der in die Beine geht. Anja Baldauf spielt alles, was Tasten hat: Akkordeon, Piano, Melodion und Cajun-Akkordeon. Die meisten Songs schreibt sie selbst, die Texte verfasst Frédéric Berger (sonst Waschbrett, Percussion, Gitarre, Gesang). Bestimmend für den Sound ist ebenfalls die Gitarre von Guido Lehmann, dazu kommen Dennis Wedel am Bass und Stefan Baldauf am Schlagzeug. Zydeco Annie ist ein wahres Energiebündel und reißt das Publikum mit Leichtigkeit mit. Sogar getanzt wurde, wenngleich erst nach zweimaliger Aufforderung. Das Mitsingen ging da schon leichter, der Publikumschor konnte sich bei „You are my sunshine“ bewähren, was hier sehr flott und rhythmisch und gar nicht so zuckrig wie sonst war.
Als Geburtstagssong für die eigene Band hat Annie „Je te chante la mélodie“ geschrieben, gesungen mit großer Geste von Frédéric Berger. Bei einem Boogie spielte wiederum Dirk Raufeisen mit, Annie nahm lieber das Akkordeon. Ein Melodienmedley – ein Eintopf, ein Jambalaya – und danach noch der bekannte Titel „Oh, when the saints“ beschlossen das mitreißende Konzert.
Frühschoppen am Sonntag um 11 Uhr bei bestem Jazz-Wetter. Der Clubgarten füllte sich zusehends, die „Sleepy Town Jazzband“ begann traditionell mit dem „Weary Blues“. Special guest am Piano während des gesamten Auftritts: Dirk Raufeisen! Quer ging es durch die traditionelle Jazzliteratur, „Alabama Jubilee“, „Joe Avery’s Blues“, „Indiana“ als Ode an den entsprechendenBundesstaat, der „Savoy-Blues“ von Louis Armstrong (im Café des Savoy wurde zu Zeiten der Prohibition der Whiskey in Kaffeetassen ausgeschenkt), „All of me“ und „Bill Bailey“ und „Do you know what is means“ – die Band war in allerbester Spiellaune, das Publikum war hoch zufrieden und klatschte begeistert.
Danach kam noch die „Streetband Holzminden“ auf die Bühne, natürlich mit dem Song „We will walk through the streets of the city“. Auch ihr Repertoire bot viele beliebte Titel, wie den alten Country-Blues-Song „Corinne, Corinna“ und zum Mitsingen später die Ballade von den Untaten des gräußlichen Herrn Haarmann aus Hannover an der Leine. Im schwungvollen „Tiger Rag“ versteckten sich gekonnt Takte verschiedener anderer Lieder, wie Rosinen im Kuchen. Es war ein rundum gelungener Jazzfrühschoppen, darüber waren sich ganz am Ende die Musiker und die Gäste einig.